In der deutschen Sprache ist es nicht so einfach mit den Genres. Der Versuch einer Aufklärung für Pragmatische.
Kürzlich wurde ich eingeladen, für den DFJV, den deutschen Fachjournalisten-Verband, einen Artikel übers Sachbuchschreiben zu schreiben. Wir konkretisierten gemeinsam das Thema, lieferte den Artikel ab, alles wunderbar. Ganz am Ende des Prozesses fragte die Redakteurin: Ist das eigentlich richtig, wenn wir in der Überschrift vom Sachbuch schreiben? Sollte es nicht Fachbuch heißen? Oder gibt es einen Überbegriff? „Ich will nur sichergehen“, sagte sie.
Es gibt so Fragen in meinem beruflichen Alltag, da habe ich auf der Stelle das Gefühl, von nichts eine Ahnung zu haben. Diese Genrefrage ist genau so eine. Ist doch peinlich, oder, wenn man sich als Spezialistin für Sachbücher herausputzt und dann bei so einer scheinbar banalen Frage herumstottert. Denn genau das habe ich getan. Um dann gleich einmal reflexartig in meinem weltbesten Berufsnetzwerk Texttreff nachzufragen, wie andere das so handhaben mit den Begrifflichkeiten. Mein Texttreff weiß nämlich immer Bescheid. Aber die Antworten waren vorhersehbar – nämlich uneindeutig. Weil es keine Eindeutigkeit gibt!
Nonfiction und Fiction
Ich beneide Englischsprechende. Im Englischen gibt es ganz grundsätzlich Nonfiction und Fiction. Im Deutschen hingegen gibt es Literatur, Belletristik, Sachbücher, Fachbücher, Ratgeber, Biografien und noch tausend andere Buchgenres, die aber in keiner eindeutigen Hierarchie zusammengeführt sind. Für Fiction und Nonfiction als Genre gibt es keine Übersetzung.
Belletristik und Sachbuch? Nun, eine Elfriede Jelinek wird sich glaube ich nicht als Belletristik-Autorin bezeichnen, sondern als Literatin. Aber Literatur ist wiederum uneindeutig: Es gibt die Literatur, aber auch die Fachliteratur. Oder Sachliteratur? Keiner weiß es genau. Aber wie sagt man nun, wenn man über Bücher redet: Ich schreibe einen Roman, ein Theaterstück, ein Drehbuch – aber was ist der Überbegriff? Ich schreibe … „Fiction“!? Oder im Nonfiction-Bereich: Ich schreibe ein Sachbuch, ein Fachbuch, einen Ratgeber, ein Memoir, einen Reiseführer, ein Kochbuch, ein Kindersachbuch – und was ist hier der Überbegriff?
Die Buchgenres im Buchhandel
Zu meiner Fachlektüre gehören unter anderem die Umsatzstatistiken des Buchhandels – wir Autorinnen und Autoren haben Zugang zu ohnehin relativ wenigen Informationen über den Buchmarkt (ist es nicht erstaunlich, wo wir doch die Produktentwickler der „Ware Buch“ sind?). Da nehme ich, was ich kriegen kann. Auch trockenes Statistikzeugs. Jedenfalls werden die Marktdaten der Buchbranche unter anderem nach Warengruppen dargestellt. Und ich finde diese – sagen wir einmal: kurios. Ich zitiere auszugsweise aus dem „Anzeiger“, dem Magazin für die österreichische Buchbranche: Warengruppen, die zum Fiktionalen gezählt werden, sind Belletristik, Kinder- & Jugendbücher. Das scheint alles zu sein in Sachen fiktionale Literatur. Aber gut, was weiß ich denn schon. Ich bin ja auf Nonfiction spezialisiert.
Doch bei der Nonfiction ist die Logik der Einteilung atemberaubend. Wie findest du das: 1. Reise, 2. Ratgeber, 3. Geisteswissenschaften, Kunst, Musik, 4. Naturwissenschaften, Medizin, Informatik, Technik, 5. Sozialwissenschaften, Recht, Wirtschaft, 6. Sachbuch.
Da habe ich sofort tausend Fragezeichen im Kopf! Ist ein Reiseführer kein Ratgeber? Wenn Reise ein eigener Bereich ist, warum sind dann z.B. Kochbücher nicht auch ein eigener Bereich, sondern als Untergruppe der Ratgeber kategorisiert? Das ist doch schließlich auch eine große Subgruppe. Oder: Wirtschaft ist unter Punkt 5 genannt. Heißt das, dass ein Wirtschaftsbuch kein Sachbuch ist? Sind die Punkte 3 bis 5 als Fachbücher zu verstehen? Warum steht das dann da nicht?
I simplify my life – und das meiner Autorinnen und Autoren
Mir ist das alles zu kompliziert. Bei mir gibt es den Überbegriff „Sachbuch“ für alles Nonfiktionale. Darunter fallen
- Fachbücher (Fachthemen für ein Fachpublikum geschrieben)
- Sachbücher (Fachthemen für ein Laienpublikum geschrieben)
- Ratgeber (ein Problem wird erörtert und mit Tipps, Tricks und Anregungen für ein Laienpublikum geschrieben)
- Biografien (zwar erzählt wie ein Roman, aber nicht erfunden)
Ich weiß, da gibt es eine Unschärfe, denn Sachbuch ist hier einmal der Überbegriff und einmal eine Hierarchie drunter verwendet. Außerdem gibt es viele Mischformen wie der Sachbuchroman. Aber sei‘s drum. Ich fühle mich mit dieser Grobeinteilung wohl, zumal ich nicht allein bin mit dieser Praxis. Das Autorenleben ist auch so schon kompliziert genug.