Wie Sie Ihre Leserinnen und Leser im Sachbuch ansprechen können, über das verpönte „ich“ und das dubiose „man“
Ich bin so frei und fange diesen Text gleich einmal mit dem an, was mir meine Deutschlehrerin früher verboten hat: mit dem Ich. Na, wie ist das für Sie? Sind Sie entsetzt? Verstört? Finden Sie das unerhört? „Na servus“, denken Sie gerade. „Was die sich einbildet. Unhöflich ist das! Typisch, die Menschen heute, lauter Egoisten. Reden nur über sich selbst.“
Möglicherweise haben Sie sich bei diesem „Ich“ aber auch gar nichts gedacht, weil Sie schon im ersten Satz mit dem Thema konfrontiert und sich daher für etwas ganz anderes interessiert haben. Da sieht man es wieder: Total überbewertet, dieses Ich-Verbot! Wäre gar nicht aufgefallen, hätte ich Sie nicht mit der Nase draufgestoßen. Und über mich selbst habe ich im Übrigen nur am Rande gesprochen, habe mich nur mit einem koketten Entrée eingebracht, um schnell zum Thema zu kommen.
Man oder es?
Doch so ganz einfach ist die Sache nicht. Es gibt Bücher, da ist es durchaus sinnvoll, ohne „ich“ auszukommen, bei Fachbüchern oder wissenschaftlichen Arbeiten zum Beispiel. Das liest sich dann in etwa so:
„Es hat sich gezeigt, dass bei längerer Anwendung des Medikaments ein Gewöhnungseffekt eintritt, auch wenn kurzfristig ein Erfolg zu verzeichnen ist.“
oder
„In mehreren Studien hat man festgestellt, dass bei längerer Anwendung ein Gewöhnungseffekt eintritt, auch wenn es kurzfristig zu einem Erfolg führte.“
In der Fachwelt geht es um Abstraktion und gesunde Distanz, und dafür sind unpersönliche Formulierungen wie diese bestens geeignet.
Ich und wir?
Bei Sachbüchern und Ratgebern hingegen haben Sie die Wahl, wie Sie mit Ihrem Publikum kommunizieren. Wie viel Nähe oder Distanz wollen Sie schaffen? Hier sind ein paar Varianten des Satzes von vorhin. Schauen Sie einmal, wie die unterschiedlich auf Sie wirken:
„Wir haben es getestet: Bei längerer Anwendung tritt ein Gewöhnungseffekt ein, auch wenn kurzfristig ein Erfolg bemerkbar war.“
Je mehr Mensch im Satz vorkommt, desto freundlicher und weniger distanziert wirkt der Satz, nicht wahr? Die größte Nähe und die meisten Emotionen erzeugen Sie jedenfalls in der Ich-Form:
„Ich habe es getestet: Bei längerer Anwendung des Medikaments gewöhnte ich mich daran. Kurzfristig freute ich mich jedoch über einen Erfolg.“
Der Inhalt ist derselbe, nur die Wirkung ist eine andere: Weder ein „Es“ noch ein „man“ verrät uns, welche Personen beteiligt sind. Das ändert sich erst beim „Wir“ oder „Ich“. Erst da kommen Sie Ihren Lesern ein gutes Stück näher. Sie erzählen etwas von sich, das kommt einem sympathischen Plaudern nahe.
Der Ich-Stil ist auch dann eine gute Idee, wenn Sie Ihre Erfahrungen als Experte einbringen wollen. Mit jeder solcher Aussagen registriert Ihr Publikum: Ah, sie hat es selbst erlebt, sie weiß, wovon sie spricht. Oder: Interessant, er macht das so – das probiere ich auch aus, er hatte offenbar Erfolg damit. Das erzeugt im Übrigen auch ein nettes Storytelling. In meinem Buch, das in Kürze erscheint, gibt es beispielsweise viele Storys aus meinem Berater- und Ghostwriter-Leben, und das hätte ich niemals geschafft ohne Ich-Stil. Ich hoffe, dass Sie sie mögen werden!
Per Sie oder per du?
Ihr Publikum direkt mit Sie oder du anzusprechen, ist bei Ratgebern eine gute Wahl, ersetzt er aus der Sicht der Leser doch in gewisser Weise das persönliche Beratungsgespräch. Es macht einen Unterschied, ob Sie schreiben
„Wenn man ein Kratzen im Hals spürt, kann man mit Honigtee schnell Linderung erfahren“
oder
„Wenn Sie ein Kratzen im Hals spüren, trinken Sie Honigtee.“
„Wenn du ein Kratzen im Hals spürst, trinke Honigtee.“
Man ist holprig und unpersönlich. Wer sollte das sein? Im Gehirn Ihres Lesers müssen ein paar Synapsen mehr arbeiten, um zu verstehen, dass er „mitgemeint“ ist – und Sie wissen ja, wie das ist mit dem „Mitmeinen“, das kommt auch in der Genderdebatte nicht gut an. Nachdem Ratgeber viel Aufforderungs- und Anregungscharakter haben, sind Sie mit einer persönlichen Ansprache besser bedient.
Lesererwartungen und persönlicher Stil
Ob Sie Ihre Leserinnen und Leser nun direkt mit Sie oder du ansprechen, ob Sie sich selbst oder Ihr Team persönlich einbringen oder nicht, dafür gibt es kein Patentrezept. Es ist Ihre Zielgruppe, die das entscheidet. Auch das Thema wird dabei eine Rolle spielen und auch Ihr persönlicher Stil, in dem Sie sonst kommunizieren. Ein Sportbuch werden Leserinnen und Leser vermutlich anstandslos in Du-Form akzeptieren, weil sich Sportler überwiegend duzen. Ein Führungskräfte-Ratgeber wird damit vermutlich nicht so gut ankommen.
Entscheidend ist also, was Ihr Publikum gewohnt ist. Diese Gewohnheit bewusst zu durchbrechen ist nur dann klug, wenn das Du Teil Ihrer Markenbildung ist oder Sie aus anderen Gründen überraschen und auffallen wollen und das Gefühl haben, dass es Ihr Publikum goutieren wird.