Was Sie in der heißen Phase kurz vor Manuskriptabgabe NICHT tun sollten
Im Leben von Autorinnen und Autoren gibt es eine Phase beim Buchschreiben, die hat es in sich: die zwei, drei Wochen vor Abgabetermin beim Verlag. Ich kann Ihnen nur sagen: Schlaflose Nächte! Emotionen pur! Da ist auf der einen Seite die große Erleichterung, dass das Manuskript nun endlich, endlich fertig geschrieben ist. Eigentlich möchte man Luftsprünge machen oder eine Flasche Spumante köpfen. Wäre da nicht ein Kobolt, der einem im Nacken sitzt. Ich nenne ihn Mr. Panic.
Er bringt einen dazu, plötzlich aufgeregt alles mögliche zu hinterfragen. Anstatt sich besonnen hinzusetzen und noch einmal alles in Ruhe und Sachlichkeit durchzugehen, bringt er Autorinnen und Autoren heftig durcheinander und zwingt sie zu Kurzschlusshandlungen und gerne auch Fehlentscheidungen. Ich liste Ihnen einmal auf, was ich alles so im Laufe der Jahre beobachtet habe.
Die Kapitelstruktur über den Haufen werfen
Klar, so kurz vor Schluss wird einem bewusst: Das, was man an den Verlag abliefert, wird bald zwischen zwei Buchdeckeln zu finden sein. Dass jetzt ein Moment der Panik entsteht, ist fast schon ein Zeichen Ihrer geistigen und emotionalen Gesundheit, denn so ein eigenes Buch ist ein großes Ding. Alles, was drinsteht, ist quasi in Stein gemeißelt. Man stellt sich hin auf die Autorenbühne, nackig und angreifbar. So empfinden es manche jedenfalls.
Wenn Sie sich etwas Gutes tun wollen, lassen Sie es bitte beim kurzen Panik-Moment bewenden. Atmen Sie tief durch und besinnen sich darauf: Sie haben sich das doch gründlich überlegt, als Sie sich für Ihre Kapitelstruktur entschieden haben. Vertrauen Sie sich selbst!
Verdammt, sollte das nicht auch noch gesagt werden?!
Ganz ähnlich ist das mit dem Drang, neue Inhalte reinzuquetschen. Ja, Sie sind der Experte und haben Tausende von Büchern gelesen und sich mit Hunderten anderer schlauer Menschen unterhalten. Mr. Panic liebt Horrorszenarien: Wenn Professor Huber nun Ihr Buch liest, wird er es unerhört finden, dass Sie die These von Frau Doktor Müller mit keinem Wort erwähnen. Und die vierzehn Ausnahmen der Regel, die Sie oben beschrieben haben, müssten Sie ja auch noch erklären, sonst wird die Fachkollegin tadelnd die Augenbraue heben.
Denken Sie darüber nach, für wen die Lücke, die Sie detektivisch aufgespürt haben, wirklich erkennbar ist. Ist Professor Huber Ihre Zielgruppe? Oder vielleicht doch das breite Laienpublikum? Letzteres wird dankbar sein für nicht allzu viele Details. Außerdem: Was ist der Fokus, den Sie in Ihrem Buch die ganze Zeit vor Augen hatten? Ist aus dieser Perspektive die Lücke immer noch eine Lücke?
Alles ein Käse, das muss weg!
Da tüfteln Sie monatelang an Ihrem Buch und finden okay, was Sie schreiben. Und dann, kurz vor knapp, stellen Sie fest, dass einige große Textpassagen in Ihrem famosen Meisterwerk Ihrer nicht würdig sind. Und schon zuckt der Finger über der Maus, um sie ratz-fatz im virtuellen Papierkorb zu entsorgen.
Lassen Sie das lieber. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Hauptaussagen. Passen die vermeintlich unwürdigen Textpassagen wirklich nicht dazu? Wenn es der plötzliche Zweifel an Ihrem Schreibstil liegt: Sagen Sie es Ihrer Lektorin. Sie wird Ihnen professionelles und qualifiziertes Feedback geben und vermutlich Ihren Mr. Panic beruhigen.
Sätze verschlimmbessern
Sehr beliebt bei Mr. Panic ist es, endlos an Sätzen herumzufrickeln, die vorher schon zehnmal überarbeitet wurden. Selbst wenn der Text da und dort noch gewinnen könnte: Wollen Sie, dass sich Ihre Lektorin nutzlos fühlt, weil sie in Ihrem Manuskript keinen einzigen Makel entdecken kann?
Alles an 20 Freunde zum Testlesen schicken
Apropos Lektorat: Die Mutter Ihrer Freundin liest unheimlich viel und wäre folglich eine ausgezeichnete Testleserin. Ihr bester Freund möchte so gern schon ins Manuskript reinlesen, ebenso wie Tante Fritzi und der Enkel der Nachbarin, der bald studieren wird. Und das Töchterchen hat immer eine Eins in Deutsch, die soll das Manuskript auch noch lesen.
Was Ihr Mr. Panic hier veranstaltet, ist entweder selbstzerstörerisch oder ein verdecktes fishing for compliments, um beruhigt zu sein. Doch sind all diese Personen wirklich qualifiziert, Ihr Manuskript zu bewerten? Die Gefahr ist groß, dass diese (es sehr gut meinenden) Menschen da und dort einen Verbesserungsvorschlag liefern oder die Frage stellen, warum Sie das Buch nicht aus Sicht von grünen Männchen geschrieben haben, denn das wäre doch viel lustiger zu lesen. Doch wirklich qualifiziertes Feedback werden Sie von denen kaum bekommen. Testleser sind schon okay. Aber es reichen ein oder zwei, und die sollten Sie sehr sorgfältig auswählen!
Lehnen Sie sich zurück, liebe Autorin und lieber Autor. Kochen Sie sich einen Kaffee, blättern Sie entspannt in Ihrem Kalender und überlegen Sie lieber, wann Sie die erfolgreiche Manuskriptabgabe feiern wollen. Da können Sie Tante Fritzi dann einladen und Ihr Töchterchen sowieso.Und Mr. Panic lassen Sie zu Hause schmoren.
Illustration: Gerhard Vay