Wie Sie der Muse eine Chance geben, Sie zu küssen. Ein Erfahrungsbericht.
Es gibt Tage, an denen fällt das Schreiben leicht, und es gibt Tage, da fällt es schwer. Das ist wie bei fast allem so und es trifft Sie, mich und alle anderen auch, die Profis ebenso wie die Amateurschreiberinnen. Auch die Sache mit den Schreibblockaden ist nicht den Laienschreiberinnen und -schreibern vorbehalten. Und Aufschieberitis trifft sowieso alle einmal bei fast jeder Arbeit, Profischreiber genauso wie Hobbyliteratinnen.
Das ist eine gute Nachricht, oder? Denn das bedeutet, dass das alles kein unüberwindbares Hindernis sein kann. Sonst würde es auch den Profis nicht gelingen, etwas auf Papier zu bringen. Keine Journalistin, kein Autor, keine Bloggerin würde jemals etwas veröffentlichen! Fragt sich nur, wie die das machen.
In meiner Ausbildung zur Schreibberaterin sagte eine meiner Professorinnen: „Der Unterschied zwischen Profi- und Amateurschreibern ist nicht, dass der Profi keine Blockade hat, sondern dass er weiß, wie er sie überwinden kann.“ Nun denn!
Misstrauen Sie den schlechten Tagen
Meine schlechten Tage beginnen damit, dass ich zum Beispiel zu lange bei der Frühstückszeitung hängen bleibe. Oder ich daddle im Internet herum, dann räume ich den Geschirrspüler aus – Sie kennen das. Man findet immer was zu tun, wenn man was zu tun hat, das aber nicht tun will. Oder man will es eigentlich schon, aber. Genau: aber! Man müsste die Komfortzone verlassen. Und so räume ich den Schreibtisch auf und schlichte Bücher im Regal und schaue mich in den sozialen Netzwerken um.
Im Nu ist es Mittag.
Und kein Wort geschrieben!
Nein, sage ich mir, heute ist echt nicht mein Tag. Kein Musenkuss. Und ich trödle frustriert weiter herum.
Selffulfilling Prophecy
Das erinnert an Freuds selbsterfüllende Prophezeiungen, oder? Man glaubt, es ist kein guter Tag zum Schreiben, also wird es auch kein guter Tag zum Schreiben. Man sorgt unbewusst dafür. Und dann ist die Muse schuld, weil sie nicht daherkommt.
Programmieren Sie Ihren Autopilot
Was mir am besten hilft: dem Hirn möglichst keine Chance geben nachzudenken, ob es jetzt gerade Lust hat zu schreiben oder nicht. Sondern den Autopilot vorprogrammieren: Zähne putzen, anziehen, zum Schreibtisch setzen, schreiben. Oder am Abend auf der Fahrt nach Hause dem Autopilot klare Anweisungen geben: Schuhe ausziehen, den/die Liebsten begrüßen, sich für die nächsten zwei Stunden entschuldigen (oder noch besser: schon am Morgen ankündigen), ab zum Computer, schreiben. Nicht denken, sondern tun.
Lassen Sie sich vom schlechten Tag nicht ins Bockshorn jagen
Schlechte Tage raunen einem gern ins Ohr: „Wenn du dich heute so quälst, schaffst du eh nix. Kannst es gleich bleiben lassen.“ Aus eigener Erfahrung weiß ich: Stimmt überhaupt nicht! Selbst wenn am Ende nur drei Sätze dastehen, weiß ich, dass ich dabei enorm viel über mein Thema nachgedacht habe. Schreiben besteht schließlich zu einem guten Teil aus Denken!
Der schlechte Tag tut also nur so, als wäre er unfähig. In Wahrheit verbirgt er seine Produktivität nur. Am nächsten Tag (den Sie dann bestimmt als „guten“ Tag bezeichnen) schüttet er sein Füllhorn über Sie und es fließt nur so aus Ihren Fingern. Weil Sie am Vortag so viel nachgedacht haben!
Noch etwas flüstert er Ihnen gern zu: „Aber heute, wo es so anstrengend ist, wird das sowieso kein guter Text, den schmeißt du dann eh, kannst du dir also gleich sparen.“ Ich wiederhole mich, aber: Stimmt überhaupt nicht! Texte, die an schlechten Tagen entstehen, sind nicht besser oder schlechter als die an guten Tagen geschriebenen. Ich schwöre!
Geben Sie der Muse eine Chance
Es gibt also gar keinen Grund, den schlechten Tag gewähren zu lassen. Kennen Sie den Witz über den Mann, der sich sehnlichst einen Lotto-Sechser wünschte? „Lieber Gott“, betete er, „mach, das ich im Lotto gewinne.“ – „Gern“, sagte Gott, „dann gib mir eine Chance und kauf endlich ein Los!“ So ist das auch mit der Muse. Setzen Sie sich hin und arbeiten Sie an Ihrem Buch. Dann hat die Muse auch eine Chance, Sie zu küssen!
(Fotocredit: Aka / pixelio.de)