Über das erstaunliche Erlebnis, etwas nicht zu wissen – und doch darüber schreiben zu können
Ich schreibe derzeit gerade an meinem Buch (eine Anleitung zum Sachbuchschreiben). Kürzlich hatte ich unverhofft zwei Tage, an denen ich mich ohne Unterbrechung komplett meinem Buch widmen konnte. Es war traumhaft! Ich schrieb und ich schrieb und ich schrieb – und hatte am Ende sage und schreibe fünfzehn Seiten mehr in meinem Manuskript! Ich war wirklich erstaunt. Die Inhalte flossen nur so aus meinem Hirn heraus auf den Bildschirm.
Staunen und wundern: Was man alles weiß!
Dabei hatte ich vor diesem Kapitel ein wenig Respekt. Okay, ich gebe zu, ich habe vor jedem Kapitel Respekt, weil ich jedes Mal denke, dass ich nicht genügend darüber weiß. Meine liebe Kollegin Alex, die mir als „Personal Writing Turbo“ zur Seite steht, winkt nur noch müde ab, wenn ich ihr wieder einmal vorjammere, dass ich viel zu wenig über Thema X weiß und daher hundertprozentig völlig unqualifiziert bin für dieses Buch.
Und dann – zack! – fertig war das Kapitel. In nur zwei Tagen. Ohne Rechercheaufwand, ohne Grübeleien. Ich habe einfach nur geschrieben, was mein Hirn mir gesagt hat, und ich war ehrlich überrascht, wie viel dabei rauskam. Und ich sah Alex vor mir, wie sie mich mit diesem Hab-ichs-dir-nicht-gesagt-Blick anschaute.
Vom impliziten und expliziten Wissen und Können
Dabei ist es ja nicht so, dass mir dieser Effekt fremd wäre. Seit vielen Jahren beobachte ich Ähnliches bei meinen Kunden. Sie sitzen mir gegenüber, und ich brauche gar nicht viel fragen, schon sprudelt es nur so aus ihnen heraus. Jedes Mal, wenn ihnen eine der vielen Perlen über die Lippen rollt, leuchten ihre Augen. „Oh, bitte, das müssen wir schnell notieren! Nicht dass ich das vergesse, das war ja genial!“, rufen sie dann. Herrlich, sie dabei zu beobachten. Eine Freude!
Es scheint typisch zu sein, dass man für das, was man ständig tut, nicht die passenden Worte hat. Das liegt offensichtlich daran, dass wir Routine ohne Zutun unseres Bewusstseins erledigen können. Wir lernen etwas, sprich: Wir erwerben explizites Wissen. Dann verinnerlichen wir es, der Autopilot übernimmt und wir brauchen unser Bewusstsein nicht mehr dafür. Wäre auch extrem mühsam, wenn wir ständig eine Schritt-für-Schritt-Anleitung bräuchten! Stellen Sie sich das nur beim Schreiben vor: Hallo rechter Zeigefinger, du musst jetzt eine Reihe höher und die Taste mit dem U drauf drücken, dann bitte eine Reihe runter und die Taste mit dem N drücken … Da bräuchten Sie hundert Jahre, um Ihr Buch zu schreiben.
Viele Verhaltensweisen und Handlungen laufen ab, ohne dass wir unser Bewusstsein dafür benötigen. So verlieren wir auch die Worte dafür. Eigentlich ganz logisch. Wenn wir dann zu einem bestimmten Thema unser Bewusstsein nach Wissen durchforsten, ist da zunächst einmal – nix. Gähnende Leere. Und dann glauben wir, dass wir nichts wissen und nichts können und überhaupt.
Schreiben macht Unbewusstes wieder bewusst
Wenn ich nun an meinem Buch arbeite, habe ich immer meine Lieblingsleserin neben dem Bildschirm sitzen. Der erzähle ich quasi, was ich weiß, indem ich es aufschreibe. Sie zwingt mich dazu, mein implizites Wissen in Worte zu fassen. Es fasziniert und erstaunt mich immer wieder, wie gut das funktioniert! Nicht nur beim Buchschreiben setzt sich dieser Prozess in Gang, auch wenn ich bei privaten Fragen Antworten für mich suche. Dann nehme ich mein Tagebuch und schreibe drauflos. In der Schreibtherapie nutzt man diesen Effekt, indem man „automatisch schreiben“ lässt – man schreibt ohne Unterbrechung einen Gedanken nach dem anderen auf, alles, was das Hirn gerade bereit ist auszulassen, auch wenn es noch so unsinnig scheint. Mit der Zeit formt sich garantiert so etwas wie Klarheit oder es kristallisiert sich das eigentliche Thema heraus und man ist ein bisschen klüger als zuvor.
Wobei Schreiben hilft
Maria Almana vom Unruhewerk fragt in ihrer Blogparade danach, wobei uns das Schreiben hilft. Nun, Schreiben offenbart, was alles in uns steckt. Ist das nicht wunderbar? Wir sind vollgestopft mit unserem Wissen, unserem Erfahrungsschatz, unserer Einstellung dem Leben gegenüber. Auch wenn wir glauben, dass wir nichts wissen – es lohnt sich, sich hinzusetzen und die Gedanken fließen zu lassen. Schreiben macht klar, was wir alles wissen, und so stärkt es unser Selbstbewusstsein!
Wenn wir unser Geschriebenes publizieren, werden wir mit unserem Wissen auch noch für andere sichtbar. Jedes Buch, jedes Blog, jeder Artikel ist ein Beleg unserer Schatzes, den wir im Kopf und in der Seele haben, und ist somit ein wunderbares Mittel, um unsere Karriere voranzutreiben. Und wir tragen unseren Teil bei an der großen Wissens-Community und damit auch an der Weiterentwicklung von Gedanken, Erkenntnissen, Weisheiten. Wenn das kein Grund ist, auf der Stelle mit dem Schreiben anzufangen!
(Fotocredit: Fotolia)
„wir tragen unseren Teil bei an der großen Wissens-Community“ – das war vor 18 Jahren der Grund, warum ich zu bloggen begonnen habe und dort viele Tipps & Tricks zu meinen Technik-Themen teile. Bis dahin hab ich aus dem Netz nur Infos abgesaugt und verwertet, es war also an der Zeit, auch selbst etwas dazu beizutragen.
Denn wenn niemand sein Wissen ins Netz stellt, dann gibts dort auch keines. Nur mehr Katzenbilder und Facebook-Kommentare… 😉
Genau! Das ist das Wunderbare am Sachbuchschreiben – und auch am Bloggen 🙂
Liebe Daniela,
da kam viel Schönes zusammen … Und dein Beitrag ist – aus meiner Sicht – eins der Herzstücke meiner kleinen Blogparade. Ich danke dir noch einmal sehr herzlich dafür – für deine Offenheit wie für das Teilen eines kleinen Stückchens aus deiner großen Wissens-Schatzkammer …
Und wünsche dir natürlich vor allem, dass du noch viele weitere Buchseiten in deinen Ärmeln findest 😉 Im April bin ich wieder im Büro – vielleicht treffen wir uns dann ja mal beim Skypen? Wäre toll! (Und wo kriegt man eigentlich so eine Alex her? Klingt ziemlich gut!)
Ganz liebe Grüße
Maria, die Texthand- und Unruhewerkerin
Ach ja: Die ausgewertete Blogparade gibts hier: https://unruhewerk.de/schreiben-hilft/
Oh, vielen herzlichen Dank für das tolle Kompliment! Da werde ich ja gleich ganz virtuell rot 🙂
Toll, dass du alle Beiträge so schön zusammengefasst hast. Das ist ganz schön viel Arbeit! Und danke nochmal für das schöne Blogparaden-Thema, herzlichen Gruß!
Ich denke solche Texte im Kontext der Scheibtherapie sind für das neue Zeitschriftenprojekt PSYCHOLOGIEforum interessant – eine Zeitschrift, die nur aus LeserInnenbriefen – und Kommentaren dazu (von LeserInnen und von PsychologInnen) zu bestehen scheint …
LG Annette