Über ein weit verbreitetes Monster, das manche Autoren in Furcht und Schrecken versetzt: die Versagensangst
Sehen Sie dieses Monster da oben? Zum Fürchten, oder? Also ich möchte nicht, dass mir das nächtens irgendwo begegnet. Da würde es ja nicht einmal helfen, die Straßenseite zu wechseln!
Doch es begegnet vielen Autorinnen und Autoren öfter, als ihnen lieb ist. Dieses Monster baut sich vor ihnen auf und brüllt: „Was du da schreibst, ist so banal! Man wird dich als Dilettant entlarven!“ Oder: „Was bildest du dir eigentlich ein, wer du bist? Das liest doch niemand!“ Oder: „Man wird dich in der Luft zerreißen – deine Sichtweise ist doch lächerlich!“
Wie gemein! Und wissen Sie, was das Gemeinste überhaupt ist? Dass dieses Monster sich ausgerechnet immer jene Autoren aussucht, die ohnehin überdurchschnittlich Interessantes zu sagen haben, die gründlicher arbeiten als die meisten anderen und wirklich viel nachdenken, bevor sie etwas schreiben. Denen es eine Selbstverständlichkeit ist, sorgfältig zu recherchieren, und die sich den Kopf zerbrechen, damit ihre Leserinnen und Leser möglichst viel mitnehmen können. Das ist unfair, oder? Ich finde, da muss dringend etwas getan werden. Hier meine Gedanken dazu:
Das Monster auf dem Seziertisch
Wie auch immer die Versagensangst sich ausdrückt, sie lässt sich auf einen Nenner bringen: Wir fürchten, Erwartungen nicht zu erfüllen. Das heißt: Wir trauen uns selbst nicht so recht und erkennen eine scheinbar große Kluft zwischen unseren Fähigkeiten und den Erwartungen. Wir hadern mit unserer Fehlbarkeit. Je fehlbarer, desto größer die Kluft, desto größer das Monster, das aus dieser Kluft hervorsteigt. Beim Schreiben von Büchern zeigt sich das Monster in mehrerer Hinsicht:
- Man beginnt gar nicht erst zu schreiben.
- Tausend Entwürfe – und alle landen sie im Papierkorb
- Man recherchiert und recherchiert, um 100-%ig sicher zu sein – und verliert sehr, sehr viel Zeit!
- Man stellt sich selbst ständig infrage, ist unzufrieden mit sich – und das nagt am ohnehin schon wackligen Selbstwert.
Psychologen orten den Ursprung dieser Verunsicherung in der Kindheit. Mangelnde Anerkennung oder Missachtung durch die Eltern signalisieren einem Kind, dass es nichts kann, und das schleppt man dann lange mit sich herum, unbewusst natürlich und genau deshalb so destruktiv. Mangelnder Selbstwert kann aber auch später entstehen – eine schwierige Phase etwa, in der alles schiefgelaufen ist, hinterlässt auch Spuren in unserem Selbstbild.
Die gute Nachricht: Selbstzweifel und Versagensangst kann man überwinden. Was wir dazu brauchen, ist zunächst einmal die Bereitschaft, genauer hinzuschauen bzw. in sich hineinzuhorchen. Ich helfe Ihnen ein bisschen dabei.
Der kulturelle Aspekt: Wie stehen Sie zur Angst und zum Versagen?
Wie wir Dingen Bedeutung beimessen, ist oft kulturell bedingt. Wenn ich hierzulande jemanden frage, wie er zur Angst und zum Versagen steht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er sagt: „Na was schon. Keiner braucht sowas!“ Wenn wir genauer hinschauen, werden wir aber feststellen, dass wir der Angst schon auch dankbar sein können, auch wenn sie nicht angenehm ist. Denn stellen Sie sich nur vor, ein außer Kontrolle geratener Sattelschlepper rollt auf Sie zu und Sie hätten keine Angst. Sie würden stehen bleiben. Ist ja keine Angst vorhanden, die Sie alarmiert, die Ihr Kreislaufsystem spontan anwirft und Ihren Muskeln befielt: Renn um dein Leben! Ohne Angst wären Sie plattgewalzt.
Auch das Versagen hat sein Gutes, nur ist das in unserem Kulturkreis trotz aller Predigten von Managementberatern nicht gern gesehen. Unsere Fehlerkultur lautet: am besten keine machen. Dass dieser Anspruch utopisch ist, ist klar, oder? Und gut beraten sind wir damit auch nicht. Denn mit dem Anspruch vor der Nase, etwas vom Stand weg perfekt machen zu müssen, ist es ja kein Wunder, wenn da eine innere Stimme den Boykott ausruft und sagt: „Na sicher nicht mit mir!“ Eine sehr vernünftige Stimme, würde ich sagen.
In anderen Kulturen ist das etwas anderes. Die US-amerikanische Basketball-Legende Michael Jordan sagte: „Ich habe in meiner Karriere mehr als 9000 Würfe verfehlt und fast 300 Spiele verloren. 26 Mal wurde mir der spielentscheidende Wurf anvertraut, und ich habe nicht getroffen. Ich habe immer und immer wieder versagt in meinem Leben. Deshalb bin ich so erfolgreich.“ Versagen ist nun einmal ein wichtiger Teil des Erfolgs. Wer so denkt, kann viel entspannter an eine Sache herangehen.
Der Realitätscheck: Wovor genau fürchten wir uns?
Im Grunde genommen ist die Versagensangst eine dubiose Angelegenheit: Wovor genau fürchten wir uns eigentlich? Wenn ich so revuepassieren lasse, was meine Autorinnen und Autoren so plagt, sind es eigentlich immer dieselben Befürchtungen:
- „Man wird mich als Dilettant entlarven!“
- „Keinen Menschen wird das interessieren. Ich werde im Boden versinken vor Peinlichkeit!“
- „Man wird mich in der Luft zerreißen, weil meine Sichtweise sich als nicht fundiert erweisen wird.“
Kurzum: Wir werden vernichtet! Doch seien wir uns ehrlich – wie realistisch ist das? Wir werden es vermutlich nicht allen Menschen recht machen können. Doch alle? Für „alle“ schreiben wir ja gar nicht, sondern nur für unsere Zielgruppe, von der wir wissen, dass sie unser Buch brauchen. Und die werden uns bestimmt nicht in der Luft zerreißen. Im allerschlimmsten Fall legen sie das Buch weg. Wird uns das vernichten? Nein. Wir werden weiterleben und vielleicht ein nächstes Buch schreiben, das besser ankommt.
Die eigenen Ansprüche
Höchstwahrscheinlich aber sind die Erwartungen, die unsere Leser an unser Buch haben, nicht annähernd so hoch wie die Erwartungen, die wir selbst in uns haben. Das ist fast immer der Fall. Es sind die viel zu hohen eigenen Erwartungen, die wir nicht erfüllen können, und es ist das Selbstbild, dem wir nicht entsprechen. Irgendwie haben wir so ein verschwommenes Bild des Allwissenden vor uns, der wir gerne sein wollen. Und weil wir wissen, dass wir nicht allwissend sind, verschlägt es unsere Einschätzung ins Gegenteil: Wir haben keine Ahnung von gar nichts. Wie realistisch ist das? Nicht sehr, nicht wahr? Sie haben sich fünf, zehn, zwanzig Jahre lang mit Ihrer Materie beschäftigt, wie sollen Sie da nichts wissen? Geht gar nicht!
Nicht nur inhaltlich, auch in Sachen Textqualität plagt uns das Monster. Der Text darf nicht banal sein und auch nicht so, dass ihn keiner versteht. Doch wie schlecht wird Ihr Text tatsächlich sein? Ich liste einmal alles auf, was einen Text schlecht macht, und Sie sagen mir dann, ob das auf Sie tatsächlich zutrifft. Ein Text wird miserabel, wenn
- Sie vor dem Schreiben kein Konzept ausgearbeitet haben und sich somit nicht damit auseinandergesetzt haben, was Sie eigentlich konkret sagen wollen.
- Sie nicht darüber nachgedacht haben, für wen Sie schreiben.
- Sie das schreiben, was Sie wollen, und nicht das, was Ihre Leserinnen brauchen.
- Sie die Inhalte nicht in eine überschaubare Struktur gebracht haben.
- Sie nicht recherchieren, wo Fragen offen sind, sondern einfach nur irgendetwas hinschreiben, was Ihnen gerade so einfällt.
- Sie Ihre Leser mit halbfertigen Gedanken alleine lassen.
- Sie nicht zum Punkt kommen, weil Sie gar nicht wissen, wo Sie mit Ihren Gedanken überhaupt hinwollen.
- Sie die Quellen, aus denen Sie zitieren, nicht nennen und sich nicht die Mühe machen nachzurecherchieren.
Nun? Ich wette, Sie müssen sich nun eingestehen, dass Sie bisher ja doch sorgfältig vorgegangen sind? Falls der eine oder andere Punkt Sie verunsichert, dann schauen Sie da noch einmal genauer hin. Falls Sie alles richtig gemacht haben, dann schlage ich vor: Sagen Sie das Ihrem Monster. Das wird helfen. Und dann schreiben Sie weiter an Ihrem Buch.
Henry Ford sagte: „Es gibt mehr Menschen, die kapitulieren, als solche, die scheitern.“ Deshalb landen so viele halbfertige Manuskripte auch in der Schublade. Seien Sie doch lieber der, der bereit ist zu scheitern!
(Foto: HarryHautumm_pixelio)